Skinny Legend

Habe in drei Monaten 30 Kilogramm abgenommen. Erkannte Mitte Februar, dass ich plus minus zehn Kilogramm davon entfernt war Adipositas zu haben und beinahe in der Lage gewesen wäre, gemeinsam mit den Alten die Covid-Impfung zu gönnen, weil ich zu den Risikogruppen gehört hätte. Kein Witz. Tönt traurig, war es auch.

Um so viel abzunehmen habe ich aber nicht gehungert. Oder eine Diät angefangen. Oder mir den Finger in den Rachen gesteckt, damit ich das Essen wiedergeben kann. Nein!

Wieso sollte ich auch? Das ist mir alles viel zu aufwändig. Es ging viel einfacher.

Ich habe nicht mehr literweise Süssgetränke getrunken, täglich alleine Chipstüten vernichtet und aufgehört, gefühlt jeden Tag die geilen Käsewürstchen von Malbuner, welche ich übrigens immer noch liebe, zu essen. Die Malbuner Käsewürstchen gehen in die gleiche Kategorie wie die Kino-Nacho-Käsesauce oder das Denner-Thon-Brötchen. Nasty, aber geil.

Da ich folglich nicht mehr täglich Würste ass und kein Fan von einem Stück Fleisch bin, niemals Geschnetzeltes oder ein Plätzchen kaufen würde, wurde meine Ernährung plötzlich vegetarisch, wenn ich für mich kochte. Viel Gemüse. Und Früchte. Halloumi. Tofu. Die geilen veganen Cevapcici vom Migros. Tremendous. Meine Familie fing gleichzeitig an, viel vegetarisch zu kochen. Beim Grillieren mit Freunden oder beim Dönerladen meines Vertrauens greife ich weiterhin gerne zum Fleisch. Snacks esse ich nicht mehr täglich, aber ab und zu gönne ich mir schon was.

Ich habe aber nicht nur meine Ernährung angepasst. Ich ging auch mal wieder an die frische Luft! Ich hatte mich vorher nie freiwillig bewegt. Warum auch? Drinnen ist es schön warm. Drinnen kann ich in Ruhe fressen. Drinnen ist mir wohl.

Ich hatte viele Jahre Fussschmerzen. Konnte mich kaum bewegen und hatte am Abend immer so starke Schmerzen, dass ich nicht mehr gehen konnte. Mein linker Fuss war das Problem. Dies war auch einer der Gründe, weshalb ich mich nicht sportlich betätigte. Bei einer ersten OP wurden mir drei Schrauben im Fuss verbaut. Nach einem Jahr wurden die Schrauben wieder entfernt, weil sie Schmerzen verursacht hatten. Nach den OPs war mein linker Fuss wieder viel robuster. Die Stellung wurde erfolgreich angepasst. Hatte weniger Schmerzen, war immer noch stark eingeschränkt. Je mehr ich abnahm, desto weniger Fussprobleme hatte ich. Heute sind sie gefühlt nicht mehr existent.

Zu Beginn ging ich regelmässig auf das Indoor-Bike. Nach einer Weile ging ich auf den Crosstrainer. Ich bin eigentlich kein Fan von nur Rennen oder nur Velofahren. Der einzige Vorteil an Indoor-Maschinen ist, dass man gleichzeitig Schwitzen und Videos schauen kann. Aber ich wollte mehr Action. Mehr Spass. Mehr Sport.

Basketball war die Lösung. Mit Bennett. Mindestens einmal in der Woche wird geballt, oft mehrmals in der Woche. Aber zu Beginn gab es ein Problem.
Ich war fett. Und unsportlich. Aber motiviert. Spielte auch allein, wollte besser werden. Wir spielen oft bei der Sekundarschule in K-Town. Basketball ist anstrengend. So anstrengend, dass ich mich bei der ersten Basketball-Session übergeben musste, vor den Augen zweier Handwerker. Nach diesem Anblick gingen die Beiden weg.

Jetzt wo ich es mir genauer überlege, frage ich mich, was zwei Handwerker um 15:00 Uhr an einem Sonntagnachmittag bei einer Sekundarschule machen. Sie hatten weder einen Ball noch irgendein Werkzeug dabei. Vielleicht wollten sie eine Kamera auf den WCs installieren? Wäre sicher nicht das erste Mal. Wenn ja, dann wäre ich ein Held, der mit seiner Kotz-Attacke die Spanner in die Flucht geschlagen hätte.

Basketball. Bennett spielt seit 8 Jahren Basketball, weshalb es zirka 2 Monate dauerte, bis ich ein Spiel gewann. Es fühlte sich grossartig an!

Ich bin stolz auf meine Leistung. Auch wenn mein Abnehmprozess simpel und einfach tönt, war es für mich ein Kampf. Keine Süsgetränke. Keine Solo-Chips-Vernichtungen. Keine Familienkübel Schokocreme mehr. Ich musste meine Gewohnheiten ändern. Mein Denken umstellen. Stark bleiben. Dass ich mich mehr bewegte, war auch eine Herausfoderung. Vor allem zu Beginn, als mein Körper mit jeder zusätzlichen körperlichen Bewegung überfordert war und unter dem zusätzlichen Gewicht litt.

Das Wissen, dass ich schon hundert Mal abnehmen wollte, aber es nie schaffte, war das Schlimmste. Es hat nie funktioniert, mein Wille war nie stark genug. Ein Schalter in meinem Kopf machte nicht klick. Ich ass einfach weiter. Kannte keine Grenzen. Ich nahm immer mehr zu, wollte abnehmen, konnte es aber nicht. Wurde immer fetter. Nahm mir das Abnehmen oft vor, scheiterte aber spätestens im Migros, als ich von den Käsewürstchen dezent angeflirtet wurde. Fühlte mich machtlos, schwach und dumm.

Ich kann das Abnehmen von 30 Kilogramm nur empfehlen. Menschen nehmen mich anders war. Ich bekomme weniger schräge Blicke entgegengeworfen. Oft hatte ich das Gefühl, dass man mit zu vielen Kilos auf den Rippen unsichtbar ist. Dass man gar nicht ernstgenommen wird. Dass man automatisch unattraktiv ist. Dass man nicht erwünscht ist.

Ich fühlte mich oft von anderen beurteilt, aber auch verurteilt. Das ist absurd, wenn man bedenkt, dass unsere Gesellschafft immer toleranter wird. Oder zumindest den Anschein auf Social Media erweckt. Das „Fat acceptance movement“ ist omnipräsent. Modeketten präsentieren „Plus-Size-Models“ in Werbung. Bodyshaming wird aktiv thematisiert und kritisiert.

Ich habe diesen Abstract von einem wissenschaftlichen Artikel entdeckt, welcher das Ganze schön für mich abschliesst:

„Despite significant attention to the medical impacts of obesity, often ignored are the negative outcomes that obese children and adults experience as a result of stigma, bias, and discrimination. Obese individuals are frequently stigmatized because of their weight in many domains of daily life. Research spanning several decades has documented consistent weight bias and stigmatization in employment, health care, schools, the media, and interpersonal relationships. For overweight and obese youth, weight stigmatization translates into pervasive victimization, teasing, and bullying. Multiple adverse outcomes are associated with exposure to weight stigmatization, including depression, anxiety, low self-esteem, body dissatisfaction, suicidal ideation, poor academic performance, lower physical activity, maladaptive eating behaviors, and avoidance of health care. This review summarizes the nature and extent of weight stigmatization against overweight and obese individuals, as well as the resulting consequences that these experiences create for social, psychological, and physical health for children and adults who are targeted“ (Puhl & King, 2013, S. 117 – 127).

Puhl, R. M., & King, K. M. (2013). Weight discrimination and bullying. Best practice & research. Clinical endocrinology & metabolism27(2), 117–127. https://doi.org/10.1016/j.beem.2012.12.002